Musik gegen Windmühlen

Fluß unterm Eis (2004)

ROMANTISCHE BALLADE

 

An einem Wintertag nach beinah zwanzig Jahren
fuhr er zu ihr, als wäre nie etwas geschehn.
Sie lachte, sprach, wie damals, als sie siebzehn waren,
und ihr Gesicht - er konnte sich nicht satt dran sehn.

Es wurde später. Ihre Kinder gingen schlafen.
Sie stellte Kerzen auf den Tisch und holte Wein.
Er sah sie vor sich, so, wie sie sich damals trafen.
Dann warn sie still und jeder trank für sich allein.

Er sah die Männer vor sich, die sie später hatte,
und im Regal sah er das Bild von einem Mann.
Sein Herz schlug härter und die Welt versank in Watte.
Nur einer fehlte ihr zum Glück von Anfang an.

So wie es schneit, wär es wohl besser hier zu bleiben,
sah er sie sagen. Warum hörte er sie nicht?
Die Flocken schlugen krachend an die Fensterscheiben,
wie weiße Falter auf der Suche nach dem Licht.

Er hatte Lust, sie einfach in den Arm zu nehmen,
mit ihr zu tanzen, sie zu vögeln, bis sie schrie,
und dachte, während er sich schämte: Warum schämen
für einen Traum, der so lang leben wird wie sie?

Wie damals sah er sich an ihrem Fenster stehen
und sah sie hinter sich, nicht schlafend und nicht wach.
Was nicht geschehn war, würde niemals mehr geschehen.
Die letzte Bahn zerschnitt das schwarze Tuch der Nacht.

Sie geht hinaus, bringt ihm die Decke und ein Kissen.
Ist sie es wirklich, oder ist es seine Frau?
Und ist die Liebe etwas andres als Gewissen
und daß mir der vertraut, dem ich mich anvertrau?

Auf ihrer Couch nochmal von seinem Traum zu träumen,
das ist, als müßte er sich selbst vor ihr kastriern.
Und schlimmer noch als diese Nacht mit ihr versäumen,
scheint ihm, das Bild, das alte, tote, zu berührn.

Er möchte fort sein oder einfach um sich schlagen.
Er sieht den Kerzendocht, wie er im Wachs verglüht,
und will jetzt aufstehn oder irgendetwas sagen.
Doch ob er das noch kann, weiß nicht einmal mein Lied.

   

Text: Henry-Martin Klemt

Komposition: Ludwig Streng