Musik gegen Windmühlen

von Quijote

Distomo, Griechenland, 1944, 2004

von Ludwig Streng, QUIJOTE

 

10. Juni: 1942 Lidice. 1944 Oradour. 1944 Distomo. Diese, und die anderen Orte der deutschen Massaker im 2. Weltkrieg haben Namen, auch wenn sie im kollektiven deutschen Gedächtnis verdrängt sind. An den Stätten der Verbrechen ist nichts vergessen.

Distomo, Griechenland, 140 km westlich von Athen.

218 Menschen - Frauen, Kinder, Männer – wahllos und willkürlich ermordet von deutschen Soldaten, als „Vergeltung“ für einen Partisanenangriff.

Juni 2004: Zum 60. Mal jährt sich der Tag des Verbrechens in Distomo. Doch in diesem Jahr ist etwas anders:
Zu der Veranstaltung des Gedenkens und Mahnens am Vorabend des Jahrestages sind zum ersten Mal Deutsche eingeladen: Nach der Ansprache des Bürgermeisters von Distomo, Loukas Papachristou, spricht der Botschafter der BRD in Griechenland, Dr. Albert Spiegel.
Dann spielt die Chemnitzer Gruppe QUIJOTE. Lieder des großen griechischen Komponisten Mikis Theodorakis - in deutscher Sprache.

Es ist das erste Mal, daß in diesem Amphitheater - am Mahnmal für die Opfer von Distomo - deutsche Künstler auftreten. Es ist das erste Mal nach 60 Jahren, daß an dieser Stätte deutsche Worte zu hören sind.

Die Rede des Botschafters, das Konzert von QUIJOTE, beides ist im Programm angekündigt. Aber trotzdem bleibt die Frage: Wie werden es die Griechen aufnehmen?

Es wird ein wunderbarer und bewegender Abend. Botschafter Dr. Spiegel hält seine Rede in griechischer Sprache. Und er bittet für die begangenen Verbrechen um Verzeihung. Nach seinen Worten starker Beifall, er ist, im doppelten Sinne, sehr gut verstanden worden. Wir, also QUIJOTE, werden mit herzlichem Applaus empfangen, das ist mehr als nur Höflichkeit. Schon beim zweiten Lied beginnt man im Publikum mitzuklatschen und zu singen. Daß zwischenzeitlich der Strom ausfällt, tut der Stimmung keinen Abbruch. Wir singen ein Lied a capella, die Zuschauer stimmen in Griechisch ein, die gute Akustik tut ein Übriges. Eine Stunde Konzert, ergänzt durch kurze Texte von und über Mikis Theodorakis, und selbstverständlich äußern wir uns zum Anlaß des Abends. Natalia Sakkatou, unsere wunderbare Betreuerin, übersetzt mit viel Gefühl. Am Schluß stürmischer Beifall. Es ist eine Atmosphäre, wie wir sie ganz selten erlebt haben.

Nach dem Konzert: Wie viele Hände sich uns entgegenstrecken, wie viele Menschen sich bei uns bedanken, wir können es nicht zählen. Dabei wäre es doch an uns gewesen, sich zu bedanken. Für diese Einladung, ja, für die Ehre, die uns zuteil wurde, als Deutsche an diesem Ort der Mahnung und des Gedenkens spielen zu dürfen.

Der nächste Vormittag, der Jahrestag des Massakers: Der Gottesdienst in der Kirche von Distomo, dann die Prozession zur Gedenkstätte oberhalb des Ortes. Tausend, zweitausend Menschen, QUIJOTE mittendrin, auch der Botschafter nicht in der ersten Reihe. Wieder kommen Leute auf uns zu, drücken uns die Hand. Keiner spricht die Sprache des anderen, aber man versteht sich ohne Worte. Ein Junge, vielleicht acht oder neun Jahre, singt einige Takte „Ena to Chelidoni“ –„Nur diese eine Schwalbe“, und strahlt uns mit großen Augen an.

Oben, am Mahnmal, wird die Stimmung ernst, Schweigen breitet sich aus. Der Bürgermeister spricht Worte des Gedenkens. Dann: Die Namen der Ermordeten, und nach jedem Namen: Anwesend! Vielen Griechen stehen die Tränen in den Augen, uns geht es nicht besser. Anschließend die Kranzniederlegung. Vielleicht zwanzig, fünfundzwanzig Kränze, dazwischen ein deutscher. Mit dem Intonieren der griechischen Hymne endet die Gedenkveranstaltung. Nur langsam löst sich Spannung.

Was bleibt: Für uns unvergeßliche Eindrücke, die Herzlichkeit der Griechen, die Wärme, mit der wir aufgenommen wurden, der Wunsch, daß wir wiederkommen im nächsten Jahr. Aber es bleiben viele offene Fragen: Wiedergutmachung, wenn dies überhaupt möglich ist; juristisch, politisch, moralisch…? Wir haben versucht, es in unserem Konzert zu formulieren: „Wirkliche Versöhnung kann es nur geben, wenn die Massaker von Distomo und all den anderen Orten, als historische Wahrheit in allen ihren Einzelheiten anerkannt werden, und eine Lösung gefunden wird, die den Opfern gerecht wird.“

Ein Anfang ist gemacht, mehr –noch- nicht.