von Quijote
Nötig wie Nahrung ist uns der Widerstand - Mikis Theodorakis zum 80.
von Ludwig Streng, QUIJOTE
veröffentlicht in UNSERE ZEIT, am 29.7.2005
Wie soll man einen Mann würdigen, der alles erlebt hat, was ein Mensch erleben kann. Er ist durch die schlimmsten Höllen gegangen: Krieg, Gefängnis, Verbannung, Folter, er war mehrmals fast tot, ist immer wieder aufgestanden. Und er hat die schönsten Momente erlebt: Konzerte vor Tausenden von Menschen, die seine Musik lieben, die seine Lieder singen, er ist in seiner Heimat populär wie kein anderer Grieche, man kennt ihn auf der ganzen Welt und er ist wahrscheinlich der bedeutendste lebende Komponist.
Am 29. Juli 1925 geboren, beginnt Theodorakis mit 12 Jahren zu komponieren. Schon früh engagiert er sich gegen Unterdrückung und Krieg. 1942, mit noch nicht einmal 17 Jahren, wird er auf einer Kundgebung zum ersten Mal verhaftet, unter der deutschen Besatzung bis 1944 noch weitere zwei Mal. Zeitgleich mit dem Abzug der deutschen Faschisten im Oktober besetzen englische Truppen Griechenland und verfolgen diejenigen Widerstandskämpfer, die gegen Hitler gekämpft haben.
1945 beginnt Theodorakis am Athener Konservatorium sein Kompositionsstudium. Auf einer Demonstration im März 1946 wird er zusammengeschlagen, für tot erklärt und erwacht im Leichenhaus. 1947/48 erneute Verhaftungen, Verbannung u. a. auf die Gefängnisinsel Makronisos. Nach dem offiziellen Ende des „Bürgerkriegs“ im Herbst 1949 studiert er weiter und besteht im Sommer 1950 das Abschlußexamen. In den Folgejahren Kompositionen der verschiedensten Art (Orchesterwerke, Lieder). 1963, nach der Ermordung des linken Abgeordneten Grigoris Lambrakis wird Theodorakis Vorsitzender der neugegründeten Lambrakis-Jugend. 1964 wird er Abgeordneter im Griechischen Parlament und nimmt den Parlamentssitz von Lambrakis ein. Am 21. April 1967 putscht die faschistische Junta. Theodorakis ruft am gleichen Tag zum Widerstand auf und geht in den Untergrund. Im August wird er verhaftet. Das Spielen seiner Musik wird – im Armeebefehl Nr. 13 von 1.6.1967 – verboten.
Es war 1967 im Sommer, ich war zwölf, als ich das erste Mal von Mikis Theodorakis hörte, dem Kommunisten, Komponisten und Widerstandskämpfer. Im Radio waren seine Lieder zu hören, die ich bis dahin nicht kannte. Fremd und doch irgendwie vertraut. Und es gab in der DDR einen Aufruf „Blumen für Mikis Theodorakis“. Viele Kinder und Jugendliche malten Blumen auf Postkarten und schickten sie nach Athen an Theodorakis. Es müssen einige Hunderttausend gewesen sein. Es gab ein Liederheft mit seinen Liedern, aus dieser Zeit stammen die ersten deutschen Nachdichtungen, zum Teil mit heißer Nadel gestrickt, aber auch einige, die die Zeit überdauert haben. Ich war neugierig geworden und ich war sofort fasziniert von den Liedern. Und ich sang zum ersten Mal „Ballen sie ihre Fäuste“. Innerhalb kürzester Zeit war Theodorakis in der DDR außerordentlich populär geworden. 1968 wird er zum Ehrenmitglied der Akademie der Künste der DDR ernannt.
Im Januar 1968 wird Theodorakis unter dem Druck einer großen internationalen Öffentlichkeit freigelassen, im August erneut verhaftet und mit seiner Familie deportiert, später ins KZ Oropos überführt. Überall auf der Welt bilden sich Komitees, die seine Freilassung fordern. Zu den Initiatoren gehören u.a. Harry Belafonte, Arthur Miller, Leonard Bernstein und Dimitri Schostakowitsch. Am 13. April 1970 gelingt dem französischen Schriftsteller und Politiker Jean-Jacques Servan-Schreiber die Freilassung von Theodorakis zu erwirken und ihn nach Paris zu bringen. Theodorakis wird als Gründer der Patriotischen Front zum Symbol des griechischen Widerstandes gegen die Junta.
In der DDR wird es still um Theodorakis. Er hat sich in Frankreich den Euro-Kommunisten angeschlossen, das haben ihm offizielle Stellen nicht verziehen.
1972/73 im Pariser Exil lernt Theodorakis Pablo Neruda kennen, der zu dieser Zeit chilenischer Botschafter in Frankreich ist. Er komponiert Teile aus Nerudas „Canto General“. Die Uraufführung ist für die dritte Septemberwoche 1973 in Santiago de Chile geplant, doch dazu kommt es nicht. Der faschistische Putsch in Chile verhindert das Konzert.
Am 24. Juli 1974 muß die griechische Junta zurücktreten, am 25. Juli kehrt Theodorakis nach Athen zurück. Im Herbst endlich, nun in Athen, die Uraufführung des „Canto General“.
In der DDR bemühen sich der Musikwissenschaftler Peter Zacher und der Chor- und Orchesterleiter Franzpeter Müller-Sybel um eine Aufführung des Werkes. Es soll noch sechs Jahre dauern.
10. Februar 1980, Festival des Politischen Liedes in Berlin, Hauptstadt der DDR, Palast der Republik: Mikis Theodorakis ist zum ersten Mal in der DDR und dirigiert seinen „Canto General“. Der große Saal des Palastes der Republik ist hoffnungslos überfüllt, atemlos lauschen die Zuschauer der wunderbaren Musik. Nach dem letzen Ton bricht ein Beifallssturm los, wie ich ihn nur selten erlebt habe. Eine halbe Stunde Zugaben, eher entläßt das Publikum Theodorakis nicht. Dann, ganz zum Schluß, wird Theodorakis die Urkunde über die Ehrenmitgliedschaft in der Akademie der Künste der DDR überreicht – mit zwölfjähriger Verspätung. Ein unvergeßlicher Abend. Und ich kann sagen, ich war dabei.
Plötzlich ist Theodorakis in der DDR wieder in aller Munde. In den frühen 80er Jahren ist er längere Zeit zu Arbeitsaufenthalten in der DDR. Etwa zehn Werke der sinfonischen Musik komponiert er in dieser Zeit, stellt sie fertig und führt sie auf, darunter drei Sinfonien, die neuen Teile des „Canto General“ und die Liturgie „Den Kindern, getötet in Kriegen“ (geschrieben für den dem Dresdner Kreuzchor!). „Es gibt kein Land auf der Erde, das soviel für Theodorakis’ Musik in den achtziger Jahren getan hat wie die DDR. Der ‚zweite deutsche Staat’ gibt Theodorakis die Möglichkeit, mit den besten Chören, Orchestern und Dirigenten sein Werk aufführen zu lassen oder selbst zu dirigieren“. (Guy Wagner, in seiner Biographie „Mikis Theodorakis – ein Leben für Griechenland“).
1981 wird Theodorakis als unabhängiger Kandidat auf der Liste der Kommunistischen Partei ins Parlament gewählt.
1986 erlebe ich Griechenland zum ersten Mal. Als QUIJOTE noch „Liederhaken“ war, nahmen wir auf Einladung des kommunistischen Jugendverbandes am „Odigits“-Festival, dem Pressefest der kommunistischen Partei KKE teil. Vor dieser Reise war Griechenland für mich: Theodorakis, Akropolis, Delphi (in dieser Reihenfolge). Danach kam vieles dazu, aber es begann – und beginnt nach wie vor mit Theodorakis. Wir erlebten die griechische Musik in ihrer ganzen Vielfalt, das Land, die Menschen, die Lebensart, die uns sehr nahe ist. Kurzum, wir waren begeistert von diesem Land. Die wunderbaren Konzerte auf dem Fest taten ein Übriges. Dort sangen wir zum ersten Mal „Ena to chelidoni“ – „Nur diese eine Schwalbe“, jenes großartige Lied aus dem Oratorium „Axion esti“. Es war das erste Theodorakis-Lied, das wir auf deutsch sangen und es begleitet uns mittlerweile fast 20 Jahre.
1989 kandidiert Theodorakis als unabhängiger Linker auf der Liste der konservativen „Nea Dimokratia“, in der Absicht, die verfeindeten Lager zu einen und den Weg für eine Große Koalition zur inneren Aussöhnung zu bereiten. 1990 wird er Staatsminister ohne Geschäftsbereich beim Ministerpräsidenten. 1992 verläßt er die Regierung, nachdem er einige seiner Vorstellungen durchsetzen konnte, das meiste jedoch nicht. 1993 legt er auch sein Parlamentsmandat nieder und wird wenig später Generalmusikdirektor des Staatlichen griechischen Rundfunkchores und der Rundfunkorchester. Im Herbst 1993 kann Theodorakis erstmals den „Canto General“ in Santiago de Chile aufführen. 1995 verläßt er Griechenland, um sich in Paris ungestört seinem sinfonischen Schaffen widmen zu können.
1998, es ist Oktober, wir sind in Dresden zum Konzert von Maria Farantouri, die ihre neue CD „Asmatha“ – „Lieder“ vorstellt, ältere und neue Lieder von Theodorakis. Wir hören wieder diese wunderbare eindringliche Musik, und wieder verstehen wir die Texte, die Gedanken der Stücke nicht. Sicher, man kann das Meiste im Programmheft nachlesen, aber das ist doch nur der halbe Genuß. An diesem Abend beschließen wir, daß es an der Zeit ist, Theodorakis-Lieder in deutscher Sprache auf die Bühne zu bringen. Daß uns das über drei Jahre Arbeit einbringt, wissen wir in diesem Augenblick noch nicht.
!999, Theodorakis lebt längst wieder in Griechenland, beginnt die NATO den Krieg gegen Jugoslawien. In nur zwei, drei Tagen organisiert Theodorakis ein Konzert in Athen mit vielen griechischen Künstlern, um gegen diesen Krieg zu protestieren. Er ist immer einer der Ersten, die ihre Stimme erheben, so auch zu Beginn der Kriege gegen Afghanistan und den Irak. Theodorakis wird für den Friedens-Nobelpreis vorgeschlagen.
2002. Unser Theodorakis-Programm hat Premiere. 23 Lieder aus den verschiedensten Schaffensperioden, aus den verschiedensten Liedzyklen, so aus „Romiossini“, „Mauthausen“, den „Andreas-Liedern“, Bekanntes und weniger Bekanntes. Nachdichtungen aus drei Jahrzehnten, zum Teil bearbeitet, vieles neu nachgedichtet für unser Programm. Ein ganz kleiner Ausschnitt aus einem Werk von über tausend Liedern. Aber zum ersten Mal ein komplettes Lieder-Konzert in deutscher Sprache, immer so nahe wie möglich an den Originaltexten und –gedanken. Der Titel des Programms „Nur diese eine Schwalbe“ ist nicht zufällig gewählt. Es ist jenes Lied, mit dem alles anfing für uns vor fast 20 Jahren und uns seitdem nicht mehr losläßt.
Seit drei Jahren nun reisen wir mit diesem Programm durchs Land. Mittlerweile auch nach Griechenland. Es ist ein eigenartiges Gefühl, die Musik von Theodorakis in einer fremden Sprache in ihr Mutterland zurückzutragen. Aber die Herzlichkeit, mit der das griechische Publikum unsere Annäherung an Theodorakis aufgenommen hat, war für uns überwältigend.
Theodorakis mischt sich ein, immer und immer wieder, ja, er provoziert und polarisiert, aber nicht um der Provokation willen, sondern um Probleme aufzureißen, zu verdeutlichen, sie zu diskutieren, nach Lösungen, auch ungewöhnlichen, zu suchen. Er wird oft – und von manchen sehr bewußt – mißverstanden. Wenn er sich im Unabhängigkeitskampf der Palästinenser gegen die israelische Besatzung an die Seite Palästinas stellt, wirft man ihm Antisemitismus vor. Theodorakis ein Antisemit? Er, der den Mauthausen-Zyklus geschrieben hat, welcher wie kein anderes Kunstwerk das Leid des jüdischen Volkes unter dem Faschismus thematisiert? das geht nicht zusammen. Theodorakis gar ein Rechter, weil er eine Koalition mit den Liberalen einging? „Was heißt das, ein Rechter? Wenn ich ein Rechter bin, wer ist dann ein Linker? Wenn die Linke den Kampf für die Freiheit darstellt, für die Menschenrechte, die Abschaffung der Armut, den Kampf…um die Wahrheit, wenn sie bedeutet, daß man sein ganzes Leben einsetzt für die anderen, so darf ich sagen, daß ich mein ganzes Leben auf diesen Grundsätzen aufgebaut habe, und ich gehe auf diesem Weg, den ich nie, nie verlassen habe, weiter. Ich bin ein Linker und bleibe ein Linker.“ (Theodorakis in einem Interview 1990.)
Am 29.Juli wird er 80. Herzlichen Glückwunsch, Mikis. Und vor allem Gesundheit! Wir brauchen Dich. Als Musiker, als Politiker, als Mensch.
In dem Lied „Nur diese eine Schwalbe“ von Odysseas Elytis heißt es:
„Stürme und Fröste und Opfer im geschundenen Land.
Nötig wie Nahrung ist uns dennoch der Widerstand“.